BGE – 1180 € jeden Monat?

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Seit langem schon diskutiert DIE LINKE über ihre Position zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE). Im September wird diese Diskussion mit einem Mitgliederentscheid enden. Bis dahin veranstaltet die Partei noch mehrere Regionalkonferenzen, in denen Mitglieder Pro und Contra diskutieren können. Ich habe kürzlich an der Regionalkonferenz für Niedersachsen und Bremen teilgenommen. Die Anzahl an Für- und Gegenreden schien mir dabei sehr ausgeglichen, sodass ich keine Vermutung aufstellen mag, wie der Mitgliederentscheid ausgehen wird. Ich selbst bin bis jetzt unentschieden und werfe deshalb einen Blick auf das BGE und die aktuelle Forderung der LINKEN.

Rechtes und Linkes Grundeinkommen

Es gibt verschiedene Vorschläge dazu, wie ein BGE aussehen kann. Grundsätzlich sehen alle vor, dass jede*r Bürger*in monatlich eine bestimmte Summe überwiesen bekommt. Diese Modelle stammen nicht nur aus linken Kreisen. Beispielweise sei hier das Modell des “Solidarischen Bürgergelds” genannt. Abgesehen vom Namen hat dieser Vorschlag jedoch nichts Solidarisches an sich. Nach einem kurzen Blick ins Impressum der Website wundert das aber auch nicht weiter. Es stammt von INSA (Institut für neue soziale Antworten). INSA wird von Hermann Binkert geführt. Er ist CDU-Mitglied und Teil der Mittelstands- und Wirtschaftsunion und war sogar kurz Mitglied in der national-konservativen Werteunion. Dass aus dieser Richtung ein Vorschlag für ein BGE kommt, mag einige zunächst wundern. Es soll jedoch nur 600€ betragen und alle anderen Sozialleistungen und Versicherungen ersetzen. Auch Errungenschaften wie der Mindestlohn und Kündigungsschutz sollen mit diesem “solidarischem” Bürgergeld entfallen. Nun jedoch genug zu diesem menschenverachtenden Vorschlag, der unseren Sozialstaat um Jahrhunderte zurückwerfen würde. Hier soll es um das emanzipatorische Grundeinkommen gehen.

Das Emanzipatorische Grundeinkommen

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen, ein Zusammenschluss innerhalb der LINKEN, arbeitet seit Jahren am Konzept des emanzipatorischen Grundeinkommen. Inzwischen liegt das finale Konzept vor. Dieses erstreckt sich über 52 Seiten. Wer Interesse an den exakten Details hat, kann diese gerne im Konzept selbst nachschauen. Ich stelle hier nun ausschließlich die Grundzüge des emanzipatorischen Grundeinkommens dar.

Grundsätze des Emanzipatorischen Grundeinkommens

Das emanzipatorische Grundeinkommen soll als Individueller Rechtsanspruch bestehen. Das heißt, dass es keine Bedarfsgemeinschaften mehr geben soll. Dadurch haben beispielsweise zwei Eheleute unabhängig voneinander einen Anspruch auf das BGE.
Es wird ohne vorherige Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt. Niemand muss seine persönlichen Lebensumstände bis ins letzte Detail offenlegen, um es zu erhalten. Dies ist ein fundamentaler Unterschied zu den aktuellen Sozialstaatsleistungen, insbesondere zu Hartz-IV.
Auch soll keinerlei Pflicht für eine Gegenleistung zum Erhalt des BGE bestehen. Anders als die momentane Sanktionspraxis im Hartz-IV-System. So kann einem*r Hartz-IV Empfänger*in derzeit die monatliche Auszahlung gekürzt werden, wenn er oder sie ein Jobangebot ablehnt. Das BGE hingegen soll sogar dann gezahlt werden, wenn du dich bewusst dafür entscheidest keiner Lohnarbeit nachzugehen.

Wer bekommt wie viel?

Die meisten werden sich insbesondere für die Höhe des BGE interessieren. Das emanzipatorische Grundeinkommen soll stets das soziokulturelle Existenzminimum sichern. Das heißt, dass es nicht nur das reine Überleben sicherstellen soll, sondern auch die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Miteinander. Hobby, Bildung oder auch der Kinobesuch mit Freund*innen sollen mit dem BGE möglich sein. Aktuell läge dies bei 1180€ für über 16-jährige. Kinder unter 16 erhalten 540€. Es soll nicht als Sozialleistung für Bedürftige, sondern als Grundleistung für alle verstanden werden. Die Sozialversicherungen wie Renten- und Arbeitslosenversicherung bleiben beim emanzipatorischem Grundeinkommen bestehen und werden aus- und umgebaut. Auf diese Weise soll der persönliche Lebensstandard auch im Rentenalter und bei vorübergehender Arbeitslosigkeit gesichert sein. Die Unterstützer*innen des emanzipatorischen Grundeinkommens betonen, dass es kein alleiniges Allheilmittel sei. Zumindest zeitgleich mit dem BGE müssen unter anderem eine starke Mietpreisbremse, ein höherer Mindestlohn und eine Arbeitszeitverkürzung eingeführt werden, um etwaigen Folgeproblemen zuvorzukommen.

Wer zahlt das?

Die Finanzierung soll hauptsächlich mit der sogenannten Grundeinkommensabgabe erfolgen. Dies ist quasi eine Steuer in Höhe von 33% auf alle Einkommen. Ausgenommen davon sind logischerweise das BGE selbst und andere Sozialleistungen. Das führt dazu, dass Menschen die mehr als 3600€ Einkommen neben dem BGE haben, nicht mehr vom BGE profitieren. Ab dieser Grenze wird das BGE für andere mitfinanziert. Zudem macht das BGE manch andere Sozialleistung überflüssig. Beispielsweise das BAföG könnte abgeschafft werden, da bereits das BGE eine ausreichende Sicherheit bietet. Für weitere Details schaut gerne in das BGE Konzept.
Die Umsetzung des emanzipatorischen Grundeinkommens wäre ein massives Umverteilungsprogramm von oben nach unten.

Sanktionsfreie Mindestsicherung

Da ich hier vom innerhalb der LINKEN diskutierten Grundeinkommen ausgehe, ist durchaus interessant, was die LINKE derzeit statt eines BGE fordert. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 war dies eine sanktionsfreie Mindestsicherung als Ersatz für Hartz-IV. Diese Mindestsicherung soll garantieren, dass niemand über weniger als 1200€ Einkommen im Monat verfügt. Im Einzelfall kann auch ein individueller Mehrbedarf bewilligt werden. Sie ist für Erwerbslose, Aufstockende Erwerbstätige und Erwerbsunfähige vorgesehen. In keinem Fall soll es Sanktionen auf die Mindestsicherung geben. Wer jedoch durch eigene Erwerbsarbeit oder auf anderen Wegen mehr als 1200€ Monatseinkommen erhält, hat keinen Anspruch auf die Mindestsicherung. Es braucht also eine Bedürftigkeitsprüfung zum Bezug der Mindestsicherung.

Revolution BGE?

Das BGE soll die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt grundlegend ändern. Es wären nicht weiterhin alle darauf angewiesen durch Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Vielen wäre die Möglichkeit eröffnet ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder sich gänzlich aus dem Arbeitsmarkt zurückzuziehen. Sie könnten sich ihren wahren Leidenschaften und Hobbys widmen. Dadurch würden neue Arbeitsstellen geschaffen werden. In Zeiten, in denen immer mehr Stellen durch die zunehmende Automatisierung gestrichen werden, ein begrüßenswerter Effekt. Der Zwang aus purer wirtschaftlicher Notwendigkeit einen Job auszuüben, der weder Freude bringt noch ausreichend bezahlt wird, wäre weg. Dabei stellt sich jedoch direkt die Frage, wer dann noch unattraktive Jobs, etwa die bei der Müllabfuhr, ausüben würde. Es bräuchte eine enorme Lohnsteigerung in diesen Jobs, um noch Menschen zu überzeugen diese absolut notwendigen Arbeiten zu erledigen.

Stärkung des Zusammenhalts der Gesellschaft

Die mögliche Arbeitszeitverkürzung würde mehr Zeit für Freunde und Familie oder auch Freiwilligendienste geben. Der gesamtgesellschaftliche Zusammenhalt könnte davon stark profitieren, wenn wir mehr Zeit für und mit anderen Menschen verbringen und weniger damit unsere eigenen finanziellen Nöte zu bekämpfen.

Sicherheit im Wandel zur Klimaneutralität

Hätten wir bereits jetzt das emanzipatorische Grundeinkommen, würde der sozial ökologische Wandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft viel leichter fallen. Dieser Wandel wird noch in vielen Branchen zu weiteriechenden Veränderungen führen. Manchen wird es auch den Job kosten, beispielsweise den Beschäftigten in der Kohleverstromung. Das BGE würde den Betroffenen die Angst vor der Arbeitslosigkeit nehmen, da auch dann noch ein ordentlicher Lebensstandard gesichert wäre. Gleiches gilt aber auch für die sanktionsfreie Mindestsicherung, welche bereits im Wahlprogramm steht.

Keine Löcher im Sicherheitsnetz

Das Grundeinkommen könnte jedoch, anders als die Mindestsicherung, ohne einen einzigen Antrag gezahlt werden. Heute gibt es viele Menschen, welche ein Recht auf Sozialleistungen haben, diese jedoch nicht kennen oder nicht wissen, welche Anträge bei welchen Ämtern sie stellen müssen. Obdachlose Menschen fallen in diesem System besonders oft durch das Raster. Viele von ihnen haben keinen Personalausweis, welchen sie für das Beantragen von Leistungen bräuchten. Auch die Scham den Antrag zu stellen und sich als bedürftig zu erklären ist ein bekanntes Hindernis. Das Grundeinkommen würde diese Probleme lösen. Die Mindestsicherung hingegen müsste zunächst beantragt werden. Zwar wären weniger Kontrollen als im jetzigen Hartz-IV-System notwendig, doch bliebe die Hürde den Antrag zu stellen bestehen.
Verdeckte Armut ist mit dem BGE deutlich besser zu bekämpfen.

Grundeinkommen für Milliardäre?

Oft habe ich bereits gehört, dass es doch enorm ungerecht sei, dass auch Millionäre und Milliardäre das BGE erhalten. Das halte ich für ein Scheinargument. Denn diese würden durch die Grundeinkommensabgabe nicht vom BGE profitieren. Ein ernsthaftes Problem in diesem Zusammenhang ist jedoch die Steuerflucht. Es gibt Schlupflöcher, welche von Reichen und Superreichen genutzt werden, um ihr Vermögen in Steueroasen zu bringen. Dagegen muss verstärkt vorgegangen werden, damit der steuerliche Zugriff auf diese Vermögen gesichert bleibt.

Eine linke Erzählung

Die politische Umsetzbarkeit des BGE ist, auch auf lange Sicht, fraglich. Allein der Kampf für den Mindestlohn hat ca. 20 Jahre gedauert. Und im Ergebnis haben wir auch heute noch keinen vor Armut schützenden Mindestlohn. Verglichen mit dem Mindestlohn ist das BGE ein nochmals bedeutend größeres Vorhaben. Es braucht eine überwältigende gesellschaftliche Unterstützung für das Projekt, damit auch andere Parteien als die LINKE daran mitarbeiten werden. Eine solche Unterstützung kann ich auf absehbare Zeit nicht erkennen. Vielmehr sehe ich die Gefahr, dass das BGE von neoliberalen aufgegriffen wird. Dann würde es aber dem Vorschlag des INSA ähneln und nur bei 600€ liegen. Dennoch würde es dann heißen, dass keine anderen Sozialleistungen mehr nötig seien, weil es ja ein Grundeinkommen gäbe. Der Sozialstaat wie wir ihn kennen, wäre dann Geschichte. Um das zu verhindern, müssen wir das BGE aus einer linken Sicht aufgreifen. Es muss öffentlichkeitswirksam mit einer linken Erzählung verbunden werden. Damit können wir einer neoliberalen Vereinnahmung aktiv entgegenwirken.

Langfristige Vision

Das BGE ist für mich Teil einer langfristigen Linken Vision, welches im Grundsatzprogramm stehen soll. In unseren nächsten Wahlprogrammen jedoch sehe ich es nicht. Dort wäre es nur ein Ausschlussgrund für Regierungsbeteiligungen, wie es bislang die LINKE Position zur NATO war. Wir müssen zunächst die Rahmenbedingungen schaffen, in denen ein Grundeinkommen funktionieren kann. Also fokussieren wir uns erst auf andere Kämpfe für eine sanktionsfreie Mindestsicherung, einen armutsfesten Mindestlohn, einen Mietpreisdeckel und eine Arbeitszeitverkürzung. Das sind Projekte, für die es Unterstützung innerhalb der Gewerkschaften, aber auch in anderen Parteien gibt.
Darauf müssen wir aufbauen!

Wie stehst Du zum Grundeinkommen? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen!

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